Während der Hauptschulzeit entwickle ich mich zu einem Computer-Nerd und werde spielsüchtig. Ich schotte mich gern ab und bin außerhalb der Schule die meiste Zeit zu Hause und spiele Computer. Trotzdem schaffe ich dank eines guten Klassenlehrers den erweiterten Realschulabschluss, was mir den Weg in die gymnasiale Oberstufe ebnet.
Jahr 2008. In den Frühlingsferien und auch in den Sommerferien des letzten Jahres in der Molitoris-Schule reisten wir zwei weitere Male nach Russland. Als ich mit Schwester bei Dima in Rostow war, lernten wir die Eltern von Lena kennen. Ihr Vater war ein Chirurg in der Rostowschen Klinik und hatte ein teures Auto, mit dem wir durch Rostow zu verschiedenen Restaurants, Cafés, zum Bowlen oder zu seiner Datsche fuhren. In Rostow kaufte mir Dima einen Anzug, Lederschuhe, Hemden und Parfüm und schenkte mir ein paar seiner für ihn zu kleinen Krawatten, um einen neuen Kleidungsstil auszuprobieren.
Am Ende der letzten Woche in Russland erfuhr ich indirekt bei einem gewöhnlichen Gespräch zwischen mir, Schwester, Dima, Lena und ihrer Mutter, dass Lena ein Kind erwartete. Die Nachricht stimmte mich aus irgendeinem Grund traurig. Mein Vater hatte dies bemerkt und legte seine Hand um meine Schultern. Das war das vorletzte Mal, als ich so nah bei Dima war, denn ein Jahr später fand unsere letzte Reise nach Russland statt.
Vor der Abreise gab Dima mir sein Lieblingsbuch mit, welches ihm schon in Usbekistan gute Dienste erwiesen hatte. Das rote Buch, dessen Cover mit durchsichtigem Klebeband überklebt war und dessen Seiten bereits vergilbt waren, trug den Titel: Wie man Freunde gewinnt: Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden.
Mit neuer Sonnenbrille bei meinem Vater in der Wohnung in Rostow-am-Don (2008).
Als wir wieder in Deutschland waren, hatte ich mich an das Land zwar schon längst gewöhnt, doch es gab ein anderes Problem: Die Beziehung zwischen Joachim und Mama bröckelte. Es gab ständig Zoff; hauptsächlich wegen Mamas Eifersucht. Ich war eigentlich immer auf Joachims Seite, weil er stets einen kühlen Kopf bewahrte. Zu uns war er immer gut – es gab also überhaupt keinen Grund, ihn nicht zu mögen. Doch selbst die Versöhnungen nach jedem Streit konnten die Scheidung schließlich nicht verhindern. Zum Glück blieb das Verhältnis zwischen uns allen gut.
Nach der Scheidung zog ich mit Schwester, Halbschwester und meiner Mutter in eine andere Straße, in ein Mehrfamilienhaus. Während dieser Zeit fing ich in einem drei Kilometer entfernten Nachbardorf namens Algermissen mit dem Führerschein an. Da ich kein Fahrrad hatte, musste ich abends zu Fuß zu den Theoriestunden gehen, was ich aber gerne tat. Während des Spaziergangs über den Feldweg, wo ich nichts außer einer kaum befahrenen Straße und den Feldern sah, konnte ich unendlich kreativ werden. Ich hatte dabei keine Musik gehört, und mein Handy, ein Nokia, mit dem ich eh nur telefonieren und SMS schicken konnte, ließ ich zu Hause.
Auf dem Weg nach Algermissen, sobald ich den Feldweg erreichte, sprudelte meine Fantasie von selbst aus mir hervor. Plötzlich war ich in einer neuen Welt versunken. Ich stellte mir mich mit Superkräften vor. Zwei Blitze aus den dunklen Wolken am Himmel schlugen in meine offenen Handflächen ein, die ich beim Gehen vor mir hielt. Der Wind strich durch meine Haare. Plötzlich donnerte es, und eine Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper. In diesem Moment fühlte ich mich wie der Herrscher der Blitze, so mächtig, als wäre ich ein Halbgott, der die ganze Welt zerstören könnte. Die Fantasie fühlte sich so unglaublich realistisch an. Diesen Zustand der Vorstellungskraft konnte ich immer erreichen, wenn keine Menschen weit und breit waren und nur ich und die Natur da waren.
Einmal war ich in meiner Fantasie so versunken, dass ich dabei kurz vor Algermissen an einem Straßenübergang fast überfahren wurde. Das Geräusch bremsender Reifen riss mich aus meiner erschaffenen Fantasiewelt.
»Ey, bist du wahnsinnig? Pass doch auf!«, schrie ein Mann aus dem geöffneten Fenster. Mit klopfendem Herzen starrte ich kurz den Mann an, bevor ich mich abwandte und weiterging.
Nach dem Theorieteil konnte ich noch ein paar Praxisfahrten belegen; doch irgendwann konnte es sich meine Mutter finanziell nicht mehr leisten. Seitdem habe ich keine Fahrschule mehr besucht und konnte den Führerschein nie abschließen.
Ehrlich gesagt, hatte ich danach auch keinen wirklichen Drang mehr, den teuren Führerschein zu machen. Auch, wenn das Auto in unserem Kaff an manch einem Tag echt wünschenswert gewesen wäre. Ich wollte ohnehin nur ein Auto besitzen, um es zu pimpen. Sobald ich auf das Gaspedal trete, sollten nicht nur die Ohren betäubt, sondern auch die Luft mit Benzin einparfümiert werden.
2009. Nach den Sommerferien besuchte ich die zehnte Klasse der Molitoris-Schule, um auch den Realschulabschluss zu machen. Die größten Probleme bereiteten mir mein komischer Akzent und meine eigene fehlende Überzeugung von meinen Deutschkenntnissen. Ich hatte Angst, einen falschen Artikel zu benutzen oder mich grammatikalisch falsch auszudrücken, woraufhin meine Mitschüler mich auslachen würden. Deshalb blieb ich meist stumm, obwohl ich die Antwort auf die Frage des Lehrers wusste. Diese Zurückhaltung hatte zur Folge, dass ich mich im Unterricht überhaupt nicht mündlich beteiligte und schlechte mündliche Noten bekam. Dieses Schuljahr lief total daneben und ich hatte keine andere Wahl, als die zehnte Klasse zu wiederholen, wenn ich den Realschulabschluss erreichen wollte.
Zukünftiges Learning aus meiner World of Warcraft Zeit: Jugendliche spielen den ganzen Tag Computerspiele, weil die Realität nichts Interessanteres zu bieten hat und nur Schwierigkeiten verursacht.
Was ich von dem Hocken auf dem Klodeckel gelernt habe: Die Hocke ist die anatomisch günstigere Position, um den Darm zu entleeren. Sie reduziert die Möglichkeit von Hämorrhoiden und Verstopfung. Außerdem ist sie hygienischer, da man nicht direkt mit der Toilette in Kontakt kommt. Ganz nebenbei trainiert man die Flexibilität des Körpers. Daher gehe ich schon mein ganzes Leben lang richtig auf die Toilette.
Zukünftiges Learning aus meiner Zeit in Lühnde: Wenn ich geniale Ideen generieren oder in eine fantastische Welt ohne Grenzen eintauchen möchte, gehe ich in die Natur - frei von Menschen und Technik - und mache einen langen Spaziergang.
2009/2010. Beim zweiten Anlauf einen Realschulabschluss zu machen, bekam ich den coolsten Klassenlehrer, den ich je hatte. Er hatte lange blonde Haare, war in einer Rockband und sah gar nicht wie der Deutsch- oder Geschichtslehrer aus, der er eigentlich war. Er strahlte eine enorme Autorität aus und war sehr intelligent! Jeder Schüler respektierte ihn. Doch das Beste an ihm war: Er mochte mich. Er sah Potential in mir, was meinen Fleiß ankurbelte. Schließlich wollte ich die positive Meinung meines Lehrers von mir aufrechterhalten.
Dank meines Klassenlehrers machte ich meine erste positive Erfahrung mit der Naturwissenschaft - genauer gesagt, der Physik - obwohl die Fächer, die er unterrichtete, eigentlich nichts mit Physik zu tun hatten. Stattdessen wollte er im Deutschunterricht herausfinden, wer unsere Vorbilder waren - Persönlichkeiten, die uns faszinierten. Das Ganze sollte in Form eines Referates vorgetragen werden. Die paar Minuten Zeit, die er uns zum Überlegen gab, hatte ich verpennt, also musste ich mir schnell jemanden einfallen lassen, als er jeden von uns nacheinander nach dem Thema fragte. Dabei hatte ich gar kein Vorbild. Die erste wahrscheinlich interessantere Persönlichkeit, die mir neben George Clooney in den Sinn kam, war Albert Einstein.
»Alexander, wer ist dein Vorbild?«, fragte mich nun der Lehrer.
»Albert Einstein«, antwortete ich ihm entschlossen. Und so musste ich mich wohl mit dem Leben des wohl berühmtesten Physikers der Welt auseinandersetzen. Nachdem ich erfuhr, dass er mit seinen wissenschaftlichen Entdeckungen die Entwicklung einer schrecklichen Vernichtungswaffe ermöglichte, nämlich der Atombombe, und diese danach auch in Japan zum Einsatz kam, war ich schockiert. Ich realisierte, dass der wissenschaftliche Fortschritt den Untergang der Menschheit bedeuten könnte, wenn die Vernunft des Menschen in ihrer Entwicklung zurückblieb.
Für das Referat bekam ich eine Eins und lernte zudem eine interessante Persönlichkeit kennen. Albert Einstein wurde irgendwie wirklich zu meinem Vorbild, weil er nie Angst hatte, neue Gedanken in der Physik zu wagen. Auch mochte ich an ihm, dass er ein Weltbürger war und sich für den Weltfrieden und Unterdrückte einsetzte. Er tat sich im Studium schwer, so wie ich mich in der Schule schwertat.
Dieses Referat über Einsteins Leben war ausreichend, um ihn zu meinem Vorbild zu machen. Aber um ein wirkliches Interesse an der Physik zu entwickeln, war das Referat nicht genug. Auch eine spannende Dokumentation über die spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein, die mir mein Freund Alexey nach dem Referat per Skype geschickt hatte, bereitete mir beim Anschauen die krasseste Gänsehaut, die ich je hatte.
Nach dem erfolgreichen Referat über Albert Einstein saß ich so wie immer während der großen Pause auf einer Bank und aß eine Milchschnitte, die ich mir am Schulkiosk gekauft hatte und beobachtete dabei die herumalbernden Schüler.
»Wie kannst du so sitzen?«, fragte mich einer der vorbeilaufenden Schüler.
»Ich bin Russe«, antwortete ich und biss in meine Milchschnitte.
»Geh bitte mit den Füßen von der Bank«, sagte der an mir vorbeistreifende Aufsichtslehrer, Herr Weimann. Also setzte ich mich wie alle anderen auf die Bank.
Manchmal kamen Thomas und sein Bruder Oswald an meiner Bank vorbei, die in der anderen zehnten Klasse waren und wir quatschten bis zum Ende der Pause über World of Warcraft und andere Computerspiele. Das eine oder andere Mal lief auch meine Schwester Schwester, die mittlerweile dieselbe Schule besuchte, an meinem Stammsitz vorbei und brachte mir ein Käsebrötchen.
Weihnachten 2009 in Lühnde mit der Familie
Klassenfahrt an der Ostsee. Die Hütte, in der ich mit anderen Jungs übernachtete. (September 2009)
2010. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich meine Endnoten anschaute. Eine Drei in Biologie und Technik, aber ansonsten nur Zweien. Mein zweiter Versuch, die zehnte Klasse zu belegen, war ein eindeutiger Erfolg. Mit einem tollen Klassenlehrer an meiner Seite schaffte ich – ohne, dass es eigentlich meine Absicht war – den Notendurchschnitt 2.0, was einem erweiterten Realschulabschluss entsprach. Im Grunde genommen war es nicht meine Endnote allein, sondern auch die meiner guten Lehrer. Mein Notendurchschnitt spiegelte die durchschnittliche Qualität der Lehrer wider. Denn letztendlich, wenn ein Lehrer Noten vergibt, bewertet er nicht nur die Schüler, sondern auch seine eigene Arbeit.
Sogar am letzten Schultag zeigte mein Klassenlehrer mir auf, dass ich etwas konnte. Unsere Kunstlehrerin war nämlich krank und wurde durch meinen Klassenlehrer vertreten. Er gab uns die Aufgabe, ein Cover für eine Mappe zu zeichnen, in der dann die Zeugnisse übergeben werden. Wir durften unserer Kreativität freien Lauf lassen. Ich gab mir viel Mühe dabei und zeichnete einen Baum mit dicken Ästen, die in die Höhe hinausragten. Auf den unteren Ästen standen Türen zu niedrigen Klassen. Wenn man den Ästen nach oben folgte, so gelangte man zu den Türen zu höheren Klassen. Die im wahrsten Sinne des Wortes höchste Klasse war die zehnte Klasse, die wir abgeschlossen hatten. Als mein Klassenlehrer an meinem Tisch vorbeiging und das fertige Bild sah, fand er es so gut, dass er es am Ende auswählte. Ich fühlte mich sehr stolz.
Nach der Zeugnisausgabe fuhr mich Mama am Abend mit ihrem blauen Opel Vectra, den sie nach der Scheidung von Joachim gekauft hatte, zum Abschlussball. Meine Mutter freute sich sehr über meine Noten, daher bestand sie darauf, dass ich meinem Klassenlehrer Blumen überbrachte. Nachdem ich dies getan hatte, setzte ich mich ganz nach vorn, nicht weit vom DJ entfernt, wo viele Plätze noch leer waren. Ich schlürfte an meinem Sekt und beobachtete, wie einige Schüler tanzten. Nach und nach bekam ich Lust, mich ihnen anzuschließen und mich ebenfalls zu den geilen Beats zu bewegen. Mittlerweile hatte ich ein paar Gläschen Sekt intus und war fast bereit aufzustehen und auf die Tanzfläche zu springen.
»Komm, Alex«, rief mir Michel, mein Mitschüler, von der Tanzfläche zu. Dann blickte ich kurz ins Publikum und bemerkte die Blicke der Lehrer und Eltern, die alle auf die Tanzfläche gerichtet waren. Ich sah wieder zu Michel und schüttelte den Kopf. Nein, ich sollte mich besser nicht blamieren, dachte ich. Kurz darauf setzte sich mein Schwarm Halbschwester direkt neben mich, obwohl es ein Dutzend andere freie Plätze gab. Ich war irritiert, schließlich hatte sie mich damals bei SchülerVZ zurückgewiesen, als ich ihr geschrieben hatte, dass ich in sie verknallt war. Doch ich kam nicht dazu, mich in Gedanken darüber zu verlieren, denn wenig später stand sie auf und tanzte mit ihrer Freundin auf der Tanzfläche direkt vor mir, während ich weiter den ganzen Abend versuchte, mich ebenfalls zum Tanzen zu überwinden.
Juli 2010. In den Sommerferien reiste mit meinen Schwestern und Mama nach Russland zu unseren Verwandten. Es war schön, mal wieder mit Onkel Sascha am Hof zu arbeiten. Während einer Woche in Kharkovskiy half ich ihm, seinen Opel Vectra zu pimpen. Unter dem Auto befestigten wir eine neonfarbene Beleuchtung und Bumper, sodass das Auto wie tiefergelegt aussah. Am Kofferraum bauten wir einen riesigen Spoiler dran. Meine Güte, war das ein geiles Gefühl, mit Onkel durch das Dorf zu fahren und zu protzen und am Wochenende mit der krassen Karre zum Asowschen Meer zu fahren.
Bei den Großeltern im Wohnzimmer. Da wo der Computer steht. (2. Juli 2010)
Am Asowschen Meer mit meinen Verwandten (3. Juli 2010)
In der nächsten Woche besuchte ich mit Schwester für drei Tage Galja und Gogi und verbrachte dann den Rest der Zeit bei Dima. Es war schön, in Asow meinen Freund Sanja wiederzutreffen, leckere Samsá von Galja zu essen und dann meine Füße von ihr massieren zu lassen. Zum Frühstück wurde ich von Gogi geweckt, der mich mit eiskaltem Weihwasser bespritzte.
»Aaaah, Gogi, es ist kaaaaalt«, schrie ich, als würde er mir einen Dämon austreiben.
»Frühstück ist fertig«, sagte er nur und lachte dabei.
Nach dem Frühstück besuchte ich mit Gogi an einem Tag natürlich auch die Kirche. Diesmal war es jedoch irgendwie anders. Egal, wo ich hinschaute, sah ich auf mich gerichtete, herablassende Blicke der Heiligen, die auf den großen Ikonen an den Kirchenwänden abgebildet waren. Es war ein bedrückendes Gefühl, beobachtet zu werden.
Gogi zündete eine Kerze an.
»Gogi, lass uns wieder gehen, mir ist schlecht.«
»Sündige nicht. Trägst du das Kreuz?«
»Klar«, antwortete ich und holte unter dem T-Shirt das silberne Kreuz hervor, das mir Gogi geschenkt hatte. Nachdem er endlich mit den Kerzen fertig war, verließen wir die Kirche.
Am nächsten Tag holte uns Dima ab und wir verbrachten den Rest der Woche bei ihm. Am letzten Tag war es, wie bei jeder Reise, schwer, sich zu verabschieden. Wer wusste schon, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen würden?
2010. Da ich dank meines guten Realschulabschlusses die Möglichkeit hatte, einen noch höheren Schulabschluss zu erreichen, nutzte ich sie kurzerhand und bewarb mich für den elften Jahrgang einer gymnasialen Oberstufe in der Robert-Bosch-Gesamtschule.
Klassenfoto
In dieser Schule schienen meine Mitschüler viel intelligenter zu sein. Sie konnten sich viel eloquenter ausdrücken als meine damaligen Mitschüler. Das hat mich am Anfang ein bisschen eingeschüchtert. Auch die Fächer, wie Deutsch, Physik, Biologie und Chemie, waren verdammt schwer. Sport dagegen machte mir sehr viel Spaß. Wenn wir Teamsportarten wie Basketball hatten, war ich zwar einer der letzten, der zu einer Mannschaft gewählt wurde, gab aber trotzdem immer mein Bestes und spielte sogar mit den anderen etwas weiter, fast bis zum Ende der großen Pause. Ich war stets erstaunt, warum ich immer nur eine Drei für den Sportunterricht bekam, obwohl ich vollen Einsatz zeigte.
Nach dem Sport ging ich verschwitzt mit meinen Mitschülern direkt zum Chemieunterricht. Die Pause dauerte noch einige Minuten. Ich und einige andere setzten uns im Flur vor der Tür des Klassenzimmers auf den Boden. Klara saß auch da und redete mit einem Typen, der vor ihr stand. Ich saß alleine da, trank aus meiner Wasserflasche und warf dabei unauffällig ab und zu einen Blick auf sie. Ihre gelockten braunen Haare waren nach dem Sport zu einem Zopf zusammengebunden. Während der Typ ihr etwas sagte, schaute sie ihn an und lächelte. Verträumt sah ich zu Boden und stellte mir vor, ich stünde an der Stelle dieses Typen und schaute Klara an, die mich ebenfalls lächelnd ansehen würde. Der Schulgong brachte mich wieder zurück in die Realität.
Der Chemielehrer machte, wie in jeder Stunde, Witze über die schlechten Schüler. Es war unterhaltsam. Ich war zwar auch schlecht, aber über mich machte er zum Glück keine Witze. Es war das einzige Fach, in dem ich mich traute, meine Hand zu heben, um die Fragen des Lehrers zu beantworten. Gebracht hatte es mir aber nicht viel. Am Ende bekam ich trotzdem eine Fünf.
Neben Sport und Chemie fand ich auch Kunst ganz gut – abgesehen von den Bildanalysen, die wir in Klausuren machen mussten. Die Titel meiner Kunstwerke waren besser als die Kunstwerke selbst: Die Hand der Rechtschaffenheit, der Lebensfaden, Auserwählter Gottes auf dem Weg zum Olymp und Stuhl mit intelligenter Seele.
In all den anderen Fächern lief es notentechnisch eher schlecht. Ich hatte einen Haufen Fünfen. Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr auf Schule. Den einzigen Ausweg sah ich im Abbruch der elften Klasse, die ich mit meiner Einstellung eh nicht geschafft hätte.
Stattdessen wollte ich lieber selbstständig werden. Ich wollte ein Unternehmen gründen, in dem ich Computer reparieren, sauber machen und zusammenbauen würde. Betriebssysteme installieren, langsame Computer optimieren und sogar Software entwickeln.
Nach dem Schulschluss beschäftigte ich mich – anstatt die Hausaufgaben zu machen – damit, was ich tun musste, um ein Unternehmen zu gründen. Abends besuchte ich einen Programmierkurs, bei dem ich die Grundlagen von C++ lernte, um später eigene Software entwickeln zu können. Ich fing schon an, alle notwendigen Informationen für die Gründung zu sammeln und sie in einer Mappe einzuheften, sodass ich nach dem Abbruch der Schule direkt mit meinem Unternehmen loslegen könnte.
Nach einem halben Jahr an der Robert-Bosch-Gesamtschule ging ich am letzten Schultag zum Oberstufenleiter, um ihm die Blumen zu überreichen. Natürlich nicht für ihn, sondern für Klara. Ich traute mich nicht, es selbst zu tun, also musste das jemand anderes für mich erledigen. Am nächsten Tag bedankte sich Klara bei mir über Facebook. Sie sagte mir, dass sie sehr überrascht war, als der Oberstufenleiter in den Deutschunterricht reinplatzte und ihr die Blumen übergab – ohne ihr zu sagen, von wem sie waren. Als sie dann einen kleinen Zettel in den Blumen entdeckte, erfuhr sie überrascht, dass ich ihr Verehrer war. Doch sie machte im Chat auch deutlich, dass sie kein Interesse an mir hatte.
Im Mai 2010 habe ich eine Zahnspange bekommen, weil ich mich nicht wohl fühlte mit meinen schiefen Zähnen. Diese Behandlung wird ganze vier Jahre lang dauern.
Zähne vor der Behandlung mit Zahnspange (27. Mai 2010)
Durch das lange, regungslose Sitzen auf dem Stuhl beim tagelangen Computerspielen habe ich Schmerzen am Gesäß beim Sitzen bekommen. Dazu kam dazu, dass ich nicht mochte wie behaart ich im Vergleich zu meinen Mitschülern an den Beinen war. Mein Po war ebenfalls sehr behaart. Um mein Selbstwertgefühl zu steigern, habe ich mich an den Beinen und am Po kahlrasiert. Das hat zu einem eingewachsenen Haare geführt. Durch das Sitzen, konnte er gar nicht raus, sondern ist nach Innen gewachsen. Es entstand eine Art großer Pickel, der sehr schmerzhaft war. Beim Arzt, während unseres Russlandurlaubs, zu dem mich Dima begleitet hat, wurde festgestellt, dass ich Dekubitus habe und der dringend operiert werden muss, da ich sonst Blutvergiftung bekommen könnte.
In Deutschland wurde ich dann operiert. Es wurde ein großer Stück des Dekubitus ausgeschnitten, sodass dort nun ein tiefes Loch entstand. Beim Anblick in den Spiegel, fiel ich fast ihn Ohnmacht und musste weinen. Mama hat mir in der Dusche geholfen das Loch mit Wasser auszuwaschen, denn es musste regelmäßig gemacht werden. Es war schmerzhaft und ich schämte mich zuerst, dass meine Mutter mich nackt gesehen hat.
Nach einigen Jahren wuchs das Fleisch im Loch und es verschwand. Hinterlassen hat die OP nur eine kleine Schramme.
Zukünftige Learnings aus der Zeit in der Molitoris-Schule: