15. August 2022. An einem sonnigen Montag hatten Schwester, Tobi und Antonia frei, und zusammen mit Juliana unterstützten sie mich beim Umzug. Mama war im Frühdienst und Halbschwester war bei Freunden unterwegs.
Bereits im Voraus hatte ich alles in Umzugskartons verpackt und Tisch, Schrank, Regal und Bett abgebaut. Ein paar Tage zuvor hatte ich einen geräumigen Transporter mit einem Laderaumvolumen von sechzehn Quadratmetern gemietet, der beim Verladen meiner Besitztümer komplett gefüllt wurde. Nach etwa zwei Stunden hatten wir das Beladen abgeschlossen. Ich hatte noch eine Monstera-Pflanze und zwei Wandbilder von Mama mitgenommen, um meine neue Wohnung etwas zu dekorieren. Dann begann die Reise nach Hannover. Da ich keinen Führerschein besaß, übernahm Tobi das Steuer, während ich auf dem Beifahrersitz saß und half Tobi, den Weg zu finden. Juliana saß rechts neben mir und hielt die beiden Kakteen in der Hand, die sie mir zum Einzug geschenkt hatte. Hinter uns fuhr Schwester im VW Touareg mit Antonia, und sie folgten unserer Strecke.
»Bieg hier in die Hinüberstraße ab«, informierte ich Tobi und deutete nach rechts. Tobi lenkte das Auto in die Seitenstraße, wo wie für uns bestimmt, zwei Parkplätze nebeneinander frei waren.
»So, auf welcher Etage ist das Zimmer?«, fragte Schwester, die bereits mit Antonia ausgestiegen war und zum Transporter kam.
»Wir müssen bis zur dritten Etage«, erwiderte ich mit einem breiten Grinsen als würde ich Schadenfreude empfinden.
»Ach du Scheiße«, entfuhr es ihr.
»Lasst uns dann mal loslegen«, sagte Antonia und öffnete die Laderaum-Türen des Transporters.
Ich nutzte die Gelegenheit, mich schon mal nach oben zu begeben, um die Wohnungstür zu öffnen. Bei meiner Ankunft begrüßten mich Claudette und der Kater Mo.
»Hey Claudette! Wie geht es dir?«
»Mir geht's gut. Brauchst du Unterstützung?«
»Keine Sorge, wir kriegen das hin. Immerhin sind wir zu fünft. Aber könntest du bitte erst mal Mo in einem Zimmer einsperren, damit er nicht im Treppenhaus verschwindet?«
»Klar, mache ich!«
Während ich die Treppe hinuntersprang, kam Antonia bereits mit einer Schranktür in den Händen auf mich zu. »Gleich am Eingang die linke Tür nehmen. Das ist mein Zimmer«, erklärte ich Antonia und hüpfte weiter nach unten.
»Die Tür auf der linken Seite, wenn ihr reinkommt«, sagte ich zu Juliana und Tobi, die eine Etage unter Antonia zwei Kisten trugen.
Schwester hatte bereits die Möbelteile am Eingang des Treppenhauses an der Wand platziert.
Nach und nach schleppten wir alles nach oben. Brett für Brett, Kiste für Kiste, ein Stapel Kleidung nach dem anderen, die überschwere Federkernmatratze, den Luftreiniger, die Geschirrkiste mit flachen und tiefen Tellern sowie Schüsseln und Gläsern, ein großer Flachbildfernseher, den ich bei meiner Aufräumaktion in der Garage gefunden hatte.
Inzwischen war ich völlig verschwitzt und schleppte mit letzter Kraft meinen enorm schweren PC hoch, meine Oberarmmuskeln zitterten bereits vor Anstrengung.
»Endlich geschafft«, seufzte ich erleichtert, als ich mein neues Zimmer betrat.
Antonia, Juliana und Tobi standen bereits im Raum und bewunderten das geräumige, lichtdurchflutete Zimmer. Claudette war in ihrem eigenen Zimmer beschäftigt.
»Darf ich die Toilette benutzen?«, fragte Antonia.
»Natürlich, einfach durch diese Tür gehen«, erklärte ich und deutete den Weg an.
»Das Zimmer ist wirklich riesig!«, bemerkte Tobi.
»Stimmt, es hat dreißig Quadratmeter«, bestätigte ich.
»Es ist zwar groß, aber du hast noch nicht genug Möbel, um den ganzen Platz zu nutzen. Du brauchst definitiv noch ein Sofa«, kommentierte Schwester, die gerade hereingekommen war und aus einem Fenster auf die Straße blickte.
»Das Sofa werde ich vielleicht später besorgen. Im Moment reicht mir das Bett«, entgegnete ich.
»Und da ist der Durchgang zu einem anderen Zimmer«, stellte Tobi fest.
»Ja, genau. Hier muss ich noch Schaumstoff besorgen, um den Schall abzudämpfen. Möchtet ihr vielleicht etwas trinken?«
»Ja, gerne! Ich dachte, ich ersticke beim Tragen der Matratze«, antwortete Antonia, die gerade von der Toilette zurückkam.
Gemeinsam begaben wir uns in die Küche.
»Oh, Schwester, könntet ihr die Becher wieder zu Mama zurückbringen? Wir haben bereits hundert Becher hier«, bemerkte ich, als ich gerade Gläser aus dem Schrank holte.
»Und die Hälfte der Gläser auch«, fügte ich hinzu.
»Dürfen wir uns die Wohnung anschauen?«, fragte Juliana.
»Natürlich, ich führe euch gerne kurz herum.«
»Also, wie ihr sehen könnt, sind wir gerade in der Küche«, scherzte ich. »Zum Glück haben wir auch einen Geschirrspüler.«
»Wohnt hier eine Katze?«, fragte Antonia und zeigte auf den Katzenbaum im Flur.
Ich öffnete die Schlafzimmertür von Annah, und der schwarze Mo lauerte bereits vor der Tür.
»Ja, das ist Kater Mo. Er gehört Annah, aber sie ist gerade nicht da.«
»Das ist Annahs Schlafzimmer. Gegenüber befindet sich ein weiteres Zimmer, das wahrscheinlich ihr Büro wird. Sie ist einen Monat vor mir hier eingezogen.«
»Und hier haben wir das Badezimmer. Es hat eine Dusche, einen Whirlpool und sogar ein Bidet.«
»Bah, hier stinkts! Antonia!«, scherzte Tobi.
»Das war wahrscheinlich Mo. Sein Katzenklo steht hier neben der Waschmaschine«, erklärte ich den unangenehmen Geruch und warf einen Blick hinein.
Als wir das Badezimmer verließen und in den Flur zurückkehrten, blieben alle neugierig vor der einzigen noch nicht geöffneten Tür stehen.
»Ach, und dort ist Claudettes Zimmer. Es ist genauso groß wie meines. Sie studiert Informatik und ist wahrscheinlich gerade beschäftigt.«
Ein breites Grinsen lag auf allen Gesichtern, als ob sie heimlich vermuteten, dass sie genauso ein lautloser Ninja wie ich war. Wir beendeten unseren Tee in meinem Zimmer, und alle teilten ihre Vorschläge darüber, wie ich die Möbel am besten arrangieren könnte.
»Wir müssen leider schon los, Saschi. Wenn du noch Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid«, sagte Schwester, während sie ihre weißen Sneaker anzog.
»Das ist sehr nett von euch. Danke für eure Unterstützung! Ich kenne hier einen tollen Dönerladen, der leckere vegane Döner anbietet. Ich lade euch ein!«
»Veganer Döner klingt super, darauf hätte ich echt Lust«, kommentierte Tobi.
»Sehr gerne! Wir können dich in den nächsten Tagen mal besuchen«, sagte Schwester.
»Perfekt! Tschüss, ihr Lieben«, verabschiedete ich mich von Tobi, Schwester und Antonia.
»Bis bald!«
Juliana blieb, um mir beim Aufbau des Doppelbetts, des Kleiderschranks, des Fernsehregals, des Regalschranks und des Schreibtisches zu helfen. Ich war voller Tatendrang und Energie. Während wir gemeinsam an den Möbeln arbeiteten, schien Juliana jedoch irgendwie energielos, demotiviert und sehr distanziert zu sein.
Ich übernachtete die ersten Tage bei Juliana, weil ich mich langsam an den neuen Schlafplatz, Umgebung, an die neuen Mitbewohner, Claudette und Annah gewöhnen wollte, schließlich kannte ich sie nur vom WG-Casting. Wenn wir Zeit bei ihr miteinander verbrachten, fehlte es an Wärme und Zuneigung zwischen uns. Unsere Küsse hatten jegliche Emotionen verloren und fühlten sich an, als würde ich einen emotionslosen Humanoiden berühren. Es war offensichtlich, dass Juliana immer noch stark an Baihu hing, möglicherweise sogar stärker als je zuvor. Vermutlich stand sie die ganze Zeit mit ihm in Kontakt.
Beim Frühstück redete Juliana kaum ein Wort mit mir. Wir hatten einander nichts zu sagen. Wenn ich sie beim Frühstück anschaute, schaute sie nur schräg nach unten und gab mir nicht mal den starrenden Unendlichkeitblick. Ich hatte keine Motivation an der Beziehung zu arbeiten und dachte die ganze Zeit an Mara. Doch mit Mara war es endgültig vorbei. Sie war bereits in einen anderen Typen verliebt und antwortete mir nicht mehr zurück.
Überraschenderweise war ich gar nicht traurig über das Beziehungstief. Irgendwie gab mir Julianas Kälte eher den Anlass, meinen Blick stärker auf andere Frauen zu richten.
August 2022. Ich fühlte mich in der ersten Woche unwohl in der Küche und im Bad der WG. Offenbar hatte ich mich zu sehr an die Sauberkeit meiner Mutter gewöhnt. Es war sehr schmutzig in den Schränken, die Fenster waren seit langer Zeit nicht geputzt worden, alle Oberflächen waren staubig, am Besteck klebten getrocknete Essensreste, der Backofen war unbenutzbar, da er verbrannt war und überall klebrige Essensreste aufwies. Die Küche war immer noch mit den Brotdosen, Tassen und Küchengeräten der früheren Mitbewohnerin Chiara gefüllt, die sie noch nicht abgeholt hatte.
Zum Glück teilte ich diese Meinung nicht alleine. Auch Annah war mit der Situation unzufrieden, wie sie mir bei einer Tasse Kaffee mitteilte, als Claudette nicht da war.
»Das ist inakzeptabel, dass sie ihre Sachen noch nicht abgeholt hat«, ärgerte sich Annah über Chiara.
»Ja, das stimmt… Lass uns hier eine gründliche Reinigung durchführen und ihre Sachen sowie alles, was wir nicht brauchen, in Kartons im Keller aufbewahren. Wenn Chiara vorbeikommt, kann sie ihre Sachen dort abholen«, schlug ich vor.
»Gute Idee, lasst uns am besten gleich anfangen!« sagte Annah und wir begannen nach dem Kaffee, den ich übrigens mit meiner French-Press zubereitet hatte, unsere Arbeit. Ich holte einige meiner Umzugskisten aus dem Keller und wir begannen damit, alles auszusortieren, was aufgrund seines Zustands und des Schmutzes wahrscheinlich nicht mehr nützlich war. Wir begannen mit Brotdosen und Bechern, über Pfannen und Töpfe bis hin zu einem elektrischen mobilen Ofen, den Claudette benutzte, weil der Gasherd merkwürdig roch. Kein Wunder, bei dem Schmutz…
»Das ist meine Pfanne, die soll hier bleiben«, hielt Annah mich auf, als ich eine Pfanne in den Karton legte.
»Aber wir haben bereits vier Pfannen. Das sollte für drei Personen ausreichen. Brauchst du die wirklich?«
»Ja, die muss hier bleiben«, bestand Annah darauf.
»Okay«, antwortete ich erstaunt und zwängte die Pfanne in eine bereits volle Schublade mit anderen Töpfen und Pfannen.
Bei den über zwanzig Bechern hielt mich Annah ebenfalls auf, sodass ich nicht in der Lage war, meine ästhetischen Vorlieben im Schrank umzusetzen, sondern die Becher irgendwie in den Schrank quetschen musste.
Die Arbeit war sehr anstrengend und nach sechs Stunden waren wir um zweiundzwanzig Uhr endlich fertig.
»So, ich bin jetzt müde. Ich gehe ins Bett«, sagte Annah, als sie die volle Kiste in den Flur stellte.
»Ich bin auch total erschöpft. Lass uns nur noch die Kisten nach unten bringen«, antwortete ich und stellte ebenfalls eine Kiste in den Flur.
»Ich habe keine Energie mehr. Ich gehe jetzt schlafen«, sagte sie und ging ins Badezimmer.
»Okay. Machen wir morgen weiter?«, fragte ich sie aus dem Flur.
»Ich werde den ganzen Tag in der Uni sein. Mal sehen, ob ich am Abend noch genug Energie und Motivation habe«, antwortete sie.
»Ich werde wahrscheinlich einfach alleine weitermachen«, schlug ich vor.
»Das wäre nett von dir. Danke! Gute Nacht!« sagte sie und schloss die Badezimmertür.
»Gute Nacht«, rief ich zurück und brachte die vollen Kartons sowie den schweren elektrischen Ofen nach unten.
Danach war ich völlig ausgelaugt. Nach dem Zähneputzen legte ich mich ins Bett und schlief sofort ein.