22. Januar 2024.
Um 8:40 Uhr war ich in der Bibliothek. Vor mir ging eine Blondine mit lockigen Haaren und einer Hose, die mich an die lesbische Anna erinnerte. Ich setzte mich an meinen Stammtisch, während sie sich am übernächsten Tisch vor mir niederließ und mit ihrem Blick in meine Richtung schaute.
Nach einem kurzen Gang zur Toilette, wo ich meine Haare zurechtmachte, stellte ich meine gefüllte Wasserflasche auf dem Tisch ab und ging auf sie zu, während sie aus ihrer rosafarbenen Flasche trank.
Ich lehnte mich an ihren Tisch und sagte: "Hey, ich mache um 11 Uhr eine Pause. Hast du Lust, die Pause mit mir zu verbringen bei einem Kaffeedate in der HanoMacke?"
Sie schien unschlüssig zu sein und antwortete: "Mmm, also ich weiß noch nicht, wann ich eine Pause mache, und eine Freundin muss später kommen. Ich bin dann mit ihr."
"Dann machen wir das so: Ich bin bis 18 Uhr hier. Wenn du später eine Pause machst, komm einfach zu mir rüber", schlug ich vor und zeigte auf meinen Platz.
"Ja, kann ich machen", antwortete sie.
"Cool, wie heißt du?", fragte ich.
"Eva", erwiderte sie.
"Alexander", sagte ich und reichte ihr meine Hand.
"Freut mich."
Sie schüttelte meine Hand, während wir uns in die Augen schauten.
"Und, was schreibst du da?", erkundigte ich mich, um ein wenig Vertrauen aufzubauen, und blickte auf das geöffnete Schreibprogramm, das mit viel Text gefüllt war.
"Masterarbeit. Ich studiere Kunstwissenschaften."
"Oh, Kunstwissenschaft? Habe ich hier noch nie gehört", antwortete ich. "Du kannst mir gern später mehr darüber erzählen."
"Okay", sagte sie, und ich begab mich zurück zu meinem Platz, um das Geschehen kurz in meinem Tagebuch festzuhalten.
Ich recherchierte dann schnell zum Studiengang Kunstwissenschaft. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein theoretisches Studium handelte, das sich mit der Geschichte der bildenden Kunst verschiedener Epochen beschäftigte. Die Kunstwissenschaft analysiert die Entwicklung von Techniken und Motiven in Malerei, Bildhauerei, Architektur bis hin zum Grafikdesign.
Da ich mich als Kulturbanause fühlte, was berühmte Gemälde anging, informierte ich mich auch über die bedeutendsten Kunstwerke aller Zeiten. Besonders gefielen mir die Werke der Renaissance von Da Vinci und Michelangelo, wie "Die Schule von Athen" oder das "Abendmahl". Aber auch Monets "Der Sonnenaufgang" fand ich ansprechend, da es das Alltägliche darstellt und durch lockere Pinselstriche melancholische Gedanken anregt. Vincent van Goghs "Sternennacht" fand ich ebenfalls schön, wahrscheinlich weil es bei meiner Exfreundin in der Wohngemeinschaft hing. Auch Dalis "Die zerrinnende Zeit", das Fantasie mit realen Elementen verknüpfte, gefiel mir gut.
So konnte ich besser in ihrer Welt eintauchen und werde so besser Smalltalk führen, wenn ich auf Kunstwissenschaftler treffe. An dieser Stelle wurde mir bewusst, wie bereichernd es war, neue Kontakte mit unterschiedlichen Menschen zu knüpfen. So verbesserte ich nicht nur mein Allgemeinwissen, sondern sammelte Erfahrung im Smalltalk und die Fähigkeit, sich besser in andere Menschen zu versetzen.
Als ich wieder meinen vertieften Blick vom Bildschirm hob, war die Bibliothek schon recht voll. Eva war von ihrem Platz verschwunden. Auf ihrem Platz saß ein schwarzhaariger Student.
"Sie scheint sehr zuverlässig zu sein", dachte ich.
"Ähm, ist eine negative Aussage, verpackt als Ironie, eigentlich auch eine, auf die ich die Umkehrmethode anwenden sollte?"
Um 11 Uhr machte ich Pause – geschafft, keinen Tee zu kaufen. Es ging ganz einfach mit meiner Trinkflasche. Meine tatsächliche Intention war also wirklich nicht, "Tee trinken" zu wollen, sondern "in der HanoMacke sein und nach attraktiven Frauen Ausschau halten".
Um 11:55 war ich wieder zurück in der Bibliothek. Ich editierte weiter das Video.
Während ich kurz aus dem Fenster schaute, um meine Augen zu entspannen, fragte ich mich: Was ist, wenn ich als Flüssigkeit nur Wasser trinken würde? Also keine entkoffeinierten Getränke und keine Tees mehr? Wie würde sich das auf meinen Körper auswirken?
Eins stand fest:
"Aber hätte es auch andere gesundheitliche Vorteile? Das sollte ich mal ausprobieren", dachte ich. Daher werde ich ab heute die Kategorie "Finanzen" in der Affirmation anpassen: Ich werde in der nächsten Zeit in Cafés nur stilles Wasser kaufen und im Alltag nur Wasser trinken.
Direkt danach kam ein anderer Gedanke. "Wenn ich genug Wasser trinke, werde ich vielleicht weniger Hunger verspüren. Dann müsste ich weniger essen. Damit würde ich viel Geld sparen."
Dann bearbeitete ich weiter das Video.
Um 14 Uhr machte ich eine weitere Pause. Die Hälfte des Videos war bearbeitet. Ich schrieb eine Nachricht an Jordis, um in der HanoMacke zu chillen, irgendwann um 18 Uhr innerhalb der Woche.
Ich saß in der HanoMacke auf dem Sofa, aß mein Brötchen und meine Mandarine.
Jordis konnte diese Woche nicht, weil sie schon am Mittwoch mit einem Freund zum Schwimmen verabredet war. Das enttäuschte mich leicht.
"Aber wenn die Tür gerade verschlossen ist, dann muss es so sein“", dachte ich.
Das tröstete mich etwas.
Es tröstete mich aber nicht stark genug, um die heiße Studentin mit dem Septum neben mir anzusprechen, die mit ihrer Freundin quatschte. Sie gab mir einen Korb.
Um 14:40 ging ich zurück in die Bibliothek. Die Enttäuschung verschwand während der Videobearbeitung wieder. Es war eine Emotion von kurzer Dauer. Wahrscheinlich, weil ich beim Blick aus dem Fenster wieder besann, dass nur ich allein für meine Empfindung verantwortlich war und dass ich viel Schönes und Größeres zu vollbringen hatte in dieser Welt als nur ein Treffen mit Jordis.
Um genau 17 Uhr hatte ich ein Video über die Rechenregeln mit Tensoren fertiggestellt. Es war auch der Punkt, an dem ich die Bibliothek verließ.